Stroh zu Gold im Lassaner Winkel
Stroh zu Gold im Lassaner Winkel
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Klein Jasedow im Lassaner Winkel am Peenestrom kurz unter Usedom war nicht traumhaft schön. Als die Gemeinschaft mit und um Johannes Heimrath 1997 hierher kam, waren da sieben unbewohnte ruinöse Häuser, neben fünf grauen, bewohnten Häusern, neben Schuppen voller leerer Schnaps- und Bierflaschen, neben alten LPG Gebäuden inmitten von durch industrielle Landwirtschaft zerstörten Großflächen. Ein kleiner, öder Fleck im Nichts. 80% waren arbeitslos. Angst geisterte in den Köpfen.

Aber da waren auch eine alte Allee, knorrige Bäume in wilden Gärten, günstiger Raum in einstmals handgebauten Häusern und ein „Himmelsauge“ – ein kleiner See, der von der Eiszeit übrig geblieben war.

Dennoch: Man musste sich schon tief in die Überreste dieses alten erdverbundenen Lebens hineinversenken, um hier an diesem Ort den Mut für einen Traum zu haben. Die Gemeinschaft, die vorher in Oberbayern und der Schweiz lebte, spürte diese vergessene Kraft. Sie entschieden sich einige der Häuser gegen einen Appel und ein Ei zu kaufen.

Und so hoffnungslos und flach das Dörfchen damals atmete: Die Einheimischen waren durch das erfahrene Leid bereit für Neues: Auch die Zuzügler, die nicht zu zweit oder dritt, sondern zu fünfzehnt kamen, willkommen zu heißen.

„Ihr bringt doch Arbeit mit? Ja? Ihr bringt doch Arbeit mit?“, wurden sie anfangs von den Einheimischen immer wieder gefragt. Hmm, was denn für Arbeit? Die Gemeinschaft kam ja selbst nur mit einem bisschen Kleingeld in den Taschen. Dass sie etwas zum Teilen mitbringen würden, daran hatten sie nicht gedacht. Sicher, sie kannten sich aus in dem für ihre Nachbarn so neuen System, der Kopf war voller Ideen, die Hände wollten etwas schaffen, aber doch erst einmal für sich.

Als sie weiter träumten und das größere Bild sahen, änderten Sie nicht ihre Vision, aber den Weg dorthin. Er bekam einfach einen Schlenker mehr: Erst einmal mussten sie sich mit um die Menschen drumherum kümmern. So bauten sie ein kleines Unternehmensnetzwerk auf: Dazu gehörten zum Beispiel eine Medienproduktionsfirma, ein Unternehmen für Softwareentwicklung, ein Verlag und die Genossenschaft „Kräutergarten Pommerland“. Und stellten dort ihre Nachbarn an. Spielgeld musste in die Taschen für das fernere Ziel: dem Dorf Leben einzuhauchen und gemeinsam mit der Erde und von der Erde zu leben. Sie rissen verlassene Schuppen ab und bauten Bushäuschen. Das integrierte.

Diesen Traum kann ich heute, 20 Jahre später, in der Atmosphäre spüren, wenn ich die Dorfstraße entlang laufe, den kann ich sehen in den liebevoll restaurierten Häusern, den kann ich hören, wenn ich in die kleine Dorfschule gehe, die vor einigen Jahren von den Zuzüglern eröffnet wurde, den kann ich erfahren, wenn ich Teil des Winkeltreffens bin an einem Wochenende im Februar. Bei dieser Veranstaltung kommen zweimal im Jahr die Leute der Gegend zusammen, die ein Anliegen haben, das sie teilen möchten. Zuzügler und auch einige Einheimische. So ein Anliegen kann ernster Natur sein, wie das Thema Ackergifte, es kann auch einfach nur organisierter Spaß sein: Lagerfeuer, trommeln, tanzen, Gemeinschaft erleben.

Der Ort dieses Treffens ist das größte Haus in Klein Jasedow und das größte Haus eines Ortes erzählt immer von seinem Geist. Hier ist es kein Bankenturm und auch kein Kirchturm, es ist ein zum Klanghaus umgebauter Stall. Soll Gemeinschaft entstehen und lebendig sein, braucht es einen Ort dafür. Das war den Zuzüglern von Anfang an klar. Das Klanghaus beherbergt viele große Gongs und andere Musikinstrumente, manchmal, wenn jemand dort eine Hochzeit feiert, sieht es wohl auch aus wie eine begehbare Torte, alles in rosa und mit viel Chichi. Es ist das ganze Jahr ausgebucht: Von den Neuen und den Alten.

Es ist eine echte Ansage, was Schönheit und Stil angeht. Und Schönheit, daran sollte man sich immer wieder erinnern, ist nachhaltig. So wie die hübschen, holzgeschnitzten Haustüren im benachbarten Lassan, die immer wieder neu aufgearbeitet und erhalten werden. Ein mit dem Herzen gebauter Ort hält Jahrhunderte, den reißt der nächste nicht so einfach wieder ein.

Dass jedes Handeln aus der Tiefe entspringt, ist ganz wichtig hier in Klein Jasedow: Denn in dieser Tiefe sind wir alle miteinander verbunden: Mit den Menschen, den Tieren und Mutter Erde. Und wenn wir all das über uns selbst hinaus fühlen können, dann werden wir Entscheidungen treffen, die allen zu Gute kommen.

Die Klein Jasedower Gemeinschaft probiert ein anderes Leben aus, jenseits kapitalistischer Wirtschafts-Logiken. Der Gewinn fließt zum Großteil in gemeinnützige Projekte. Wissenschaftler und Handwerker gesellen sich für kürzere oder längere Zeit dazu. Fast verloren geglaubte Wissensschätze alter Handwerks- und Ackerbaukunst werden hier gesammelt und in die Neuzeit transponiert. Ein Sanitärhaus sollte neu gebaut werden. Der Anspruch war, so viele Materialien wie nur möglich aus dem direkten Umfeld zu verwenden – mit Holz, Stein, Kalk und Leinöl zu bauen.

Sie nehmen alte Werte und alte Handwerkstechniken und verflechten sie mit neuen Bedürfnissen. Und auch Zwängen. Denn so sehr man auch anders leben möchte, ist man doch immer gebunden in den Strukturen, die einen umgeben und die dem Wachsen des Neuen gern im Wege stehen. Einmal war die gesamte Bioernte durch Ackergifte verpestet, einmal waren sie so gut wie pleite. Da heißt es: Scheitern, wieder aufstehen, weitermachen.

Die Zuzügler machen aus alt bio und aus maroden LPG-Gebäuden moderne Manufakturen, wie zum Beispiel die Sona Gong-Manufaktur. Hier arbeiten inzwischen 9 Leute und die Gongs werden in die ganze Welt geliefert. Die Arbeitsbedingungen sind zutiefst menschlich. Ein Arbeiter konnte aufgrund einer Krankheit seine ursprüngliche Tätigkeit nicht mehr machen. Deshalb wurde ein Bereich, mit dem ursprünglich ein Dienstleister beauftragt war „inhouse genommen“ und eine neue Maschine angeschafft. Der Mensch der da ist, der ist wichtig, er ist Teil der Gemeinschaft und nicht austauschbar.

Wenn sich zwei, drei Gongbauer mehr fänden, wäre das wunderbar, meint Johannes Heimrath. Auch Menschen, die sich um die neuen Ackerflächen kümmern, sind willkommen. Wie ein starker Magnet hat Klein Jasedow über die Jahre schon viele Menschen in die Gegend gezogen, besonders nachdem die Schule inmitten des Dorfes gegründet werden konnte. Weitere Musikinstrumentenbauer, Menschen, die Ferienwohnungen anbieten, Ökobauern und viele, viele andere. Vor einigen Monaten kamen auch eine Personalmanagerin und ein Elektriker hierher, die bei einem der großen Autohersteller angestellt sind. In ihrer Elternzeit gingen sie auf Weltreise. Dort hätten sie immer bleiben wollen, bis ihr Sohn sich immer wieder wünschte in die Schule zu gehen. Nach gründlicher Suche und Auswertung fanden sie die freie Schule in Klein Jasedow, verkauften ihr Haus im Westen Deutschlands und zogen in den Lassaner Winkel. Die Zeiten sind günstig geworden für neue Arbeitsmodelle: Sie kann ihre Dienstleistung weiter online anbieten. Er arbeitet jetzt eben hier als Elektriker und als Heiler, ist also vom grobstofflichen mehr ins feinstoffliche gewechselt. Er plant der Gegend etwas zu schenken und einen Steinkreis zu bauen. So wächst und wächst es an allen Ecken, langsam und beständig.

2010 wurde Johannes Heimrath als »Mutmacher der Nation« in Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet. Da kann ich nur sagen: Diese Worte bitte in Gottes Gehörgang und in den der Politiker, auf dass sie nicht im Wege stehen und erkennen, dass all die gesuchte Entwicklung des ländlichen Raumes von unten schon längst geschieht. Und dass die Förderung nicht im Rachen der Großindustrie landen muss, sondern einzelnen Menschen oder Gemeinschaften gebührt, die enkeltauglich und gemeinschaftlich denken und handeln und ein neues Leben und Arbeiten probieren.

Andere Bürgermeister, wie Thomas Zschornak aus dem Oberlausitzer Nebelschütz, sind längst auf die Klein Jasedower aufmerksam geworden, lassen sich beraten und sind erfolgreich damit: Während rundherum die Dörfer durch die demographische Entwicklung und die Landflucht leerer werden, führt Nebelschütz eine Warteliste für neue Dorfbewohner. Denn ein gutes Dorfleben ist machbar, wenn man denn die Akteure vor Ort machen lässt.

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