Die Oberlausitzer sind die hilfsbereiteren Menschen
Die Oberlausitzer sind die hilfsbereiteren Menschen
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Wie ich mein Handy verlor, als ich mich gegen ein Rudel Wölfe rüstete, wie ich dadurch Teil einer verrückten Schnitzeljagd wurde und was ich dabei über die Oberlausitz lernte. 

Letzten Sommer machte ich einen Ausflug in die Oberlausitz, um meiner etwas fad gewordenen Berliner Corona-Homeoffice-Realität zu entkommen und ein wenig Landluft zu schnuppern. Görlitz schien mir eine gute Basis für einen Wochenendtrip, also erkundete ich von dort aus die Umgebung. Ich wollte Natur, Ruhe, Vögelzwitschern, das volle Landlust-Programm eben – und dabei möglichst wenig Viren einfangen. Und wo ginge das besser als im Wald? Also aufs Smartphone geschaut, wo viel Grün auf der Karte ist. Hohe Dubrau stand da in dunkelgrünen Buchstaben auf sehr viel hellgrünem Untergrund. Das sah gut aus. Also Auto geparkt in Steinölsa und rein ins Waldbad. Hm, es roch gut, nach … Wald. Und dieses Gefühl, das sich da einstellte, war das etwa schon die erhoffte Entspannung? 

Doch Stopp, mein Smartphone verriet, dass das harmlos aussehende Tal zu meiner Rechten den gar nicht so harmlos klingenden Namen „Wolfsschlucht“ trägt. Einem Wolf zu begegnen, würde sich auf mein Entspannungsgefühl, für das ich gerade 200 Kilometer mit dem Auto gefahren war, wohl eher abträglich auswirken, dachte ich mir. 

Blödsinn, das ist doch nur ein Name, zugegeben ein ziemlich dramatischer und wenn sich hier doch Wölfe rumtreiben, wirst du ihnen nicht begegnen, denn sie sind sehr scheu, antwortete ein unbesorgterer Teil meines Gehirns. Aber da suchte ich mir schon einen großen Stock, um mich verteidigen zu können. Sicher ist sicher. 

Schnell wurde ich fündig. Sollte er kommen, der Wolf. Wenn er mich fressen will, dachte ich mir, brate ich ihm erstmal einen mit der Keule hier über. Und als Gehstock taugte die auch. Toll. Jetzt konnte es losgehen mit dem Entspannen.

Wunderbar spazierte es sich in diesem Wald. Und keine Spur von Wölfen. Es war so angenehm, dass ich fast keinen Drang mehr verspürte, auf mein Handy zu schauen. Apropos Handy, jetzt hätte ich doch mal wieder einen Blick drauf werfen können, hatte ich ja schon ganze 100 Meter lang nicht getan … wenn ich nur gewusst hätte, wo es war. War es nicht eben noch in dieser offenen Jackentasche gewesen? Verdammt, es musste mir rausgefallen sein, als ich den Stock aufgehoben hatte. Ok, also zurück und den Weg absuchen, weit war ich ja noch nicht gekommen. Irgendwo zwischen dem Auto und hier musste es sein, das waren nicht mehr als 200 Meter. 

War es aber nicht. Oder zumindest konnte ich es nicht finden. Wenn ich nicht alleine unterwegs gewesen wäre, hätte die zweite Person anrufen können. Doch zum Glück kam etwa alle 20 Minuten ein Auto durch diesen Wald gefahren, obwohl ein Schild das verbot. Sehr sympathisch diese Regelbrecher-Mentalität. Hätte ich hier gar nicht erwartet, ich dachte immer, in dieser Region Deutschlands gelte noch „Ordnung muss sein“.

Ich hielt also eines der Autos an, die Dame parkte sofort und half mir, mein Handy zu suchen, rief auch an, aber offensichtlich hatte ich es auf lautlos gestellt. Nach rund zehn Minuten wurde es mir etwas unangenehm, so viel Hilfsbereitschaft war ich nicht gewohnt. Also brach ich die Aktion erstmal ab und fuhr in mein Hotel in Görlitz, um die Suchfunktion des Handys einzuschalten. Mein Computer bestätigte, es lag tatsächlich genau in diesem Wald, ungefähr da, wo ich es es vermutet hatte. 

Also wieder 30 Kilometer zurück nach Steinölsa. Als ich ankam, hing ein Zettel an einem Baum: Ob jemand ein Handy gefunden habe, hier sei eines verloren worden. Ein älteres Ehepaar las sich den Aushang durch. Gefunden hatten sie es nicht, aber suchen helfen wollten sie. Dank meines Computers und Satellitentechnik konnte ich den Bereich, in dem es liegen musste, ziemlich genau eingrenzen: Irgendwo zwei, drei Meter abseits des Weges zwischen Erde, Blättern, Steinen, Moos und Würmern. 

Trotzdem blieb es unauffindbar, was vielleicht auch damit zusammenhing, dass es laut Hersteller „spacegrey“ war, treffender wäre aber die Bezeichnung „stonegrey“ gewesen, denn jeder zweite Stein hier hatte die gleiche Farbe. Es trug die perfekte Tarnung. Irgendwann gaben wir auf, das Ehepaar und ich (das ich der Einfachheit halber fortan Klaus und Gertrud nennen will, denn ich weiß nicht mehr, wie die beiden wirklich hießen, ist schon eine Weile her, und „das Ehepaar“ ist etwas sperrig.)

Resigniert sage ich: „Man bräuchte einen Metalldetektor.“ Da fiel Klaus ein, dass er jemanden in seinem Ort kennt, der ein eben solches Gerät hat. Also auf nach Gross-Radisch. Doch der Mann mit dem Metalldetektor war nicht da, und er ging auch nicht ans Telefon. Also hinterließen wir eine Nachricht, dann setzten Klaus und ich uns in Klaus’ und Gertruds Garten und tranken Bier. Das Handy verlor immer mehr an Bedeutung. Es war ein warmer Nachmittag, die Sonne schien, das Bier schmeckte ausgezeichnet, die Bienen summten, die Vögel zwitscherten … da war es doch, das Landlust-Programm. Und Klaus schien auch Spaß an der ganzen Aktion zu haben. Die Kinder waren schon lange aus dem Haus, da tat etwas Abwechslung offensichtlich ganz gut. Nach etwa zwei Stunden kam dann endlich der Anruf: Der Mann mit dem Metalldetektor war da und er lieh ihn uns gerne.

Zurück im Wald scannte ich jeden Zentimeter der fraglichen Stelle mit dem Gerät, Klaus war mit mir gekommen. Das große Finale der Schnitzeljagd wollte er sich nicht entgehen lassen. Doch vom Handy nach zehn Minuten Suche immer noch keine Spur. Da jauchzte Klaus plötzlich auf und streckte triumphierend seinen Arm in die Höhe, in der Hand das Handy. Ich konnte es nicht glauben. Er hatte es gefunden. Ohne Metalldetektor! Eine Reflexion der Abendsonne auf dem Display hatte es verraten. Ich bedankte mich überschwänglich, konnte mir eine Umarmung gerade noch verkneifen, dann verabschiedeten wir uns. 

Auf dem Zettel stand auch die Adresse der Dame, die den Aushang gemacht hatte, für den Fall, dass jemand fündig geworden wäre. Sie wohnte gleich um die Ecke am Waldrand. Ihr Mann und ihre Kinder kamen mit raus, als ich klingelte. Sie alle teilten meine Freude, dass das Handy wieder da war. Vor allem die Kinder hatten noch lange gesucht, während ich in Görlitz gewesen war, berichteten sie. 

Gerührt von all der Hilfsbereitschaft, die ich an diesem Tag erlebt hatte, fuhr ich zu meinem Hotel. Ich fragte mich, ob mir jemand auch so spontan geholfen hätte, wenn ich mein Handy im Tiergarten, im Mauerpark oder auf dem Tempelhofer Feld in Berlin verloren hätte? Ob jemand spontan und ohne mich zu kennen, einen Metalldetektor organisiert hätte? Ob jemand einen Aushang gemacht hätte? Ob jemand mich zu sich nach Hause eingeladen und mit Bier versorgt hätte? Wohl kaum. Sind die Leute hier besonders hilfsbereit, oder hatte ich einfach Glück, mit den Personen, denen ich begegnet war? Oder ist der Zusammenhalt auf dem Land allgemein einfach besser als in der Großstadt? Bestimmt spielte das auch eine Rolle und ich weiß auch, dass man mit Verallgemeinerungen etwas vorsichtig sein sollte. Trotzdem, mein Eindruck ist: die Menschen hier sind tatsächlich besonders hilfsbereit. Ich schreibe hier, weil ich inzwischen auch in der Region wohne, in Görlitz. Nicht nur wegen dieser Erfahrung, aber vielleicht auch ein bisschen wegen ihr. 

2 comments

  • schubi sagt:

    Eine sehr schöne Geschichte! Vielen Dank!!
    Auch ich überlege, nach Görlitz zu ziehen.
    Grüße aus Würzburg

  • Anke sagt:

    Danke für diese tolle Schilderung!
    Wir sind vor ca. 5 Jahren nach Tauchritz an den Berzdorfer See gezogen, freuen und immer wieder über die Landschaft und die Natur, das Potential dieser Gegend, über das Unfertige und die wunderbaren Menschen!

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